Verantwortung teilen – Entscheidungsqualität erhöhen

Gibt es bei Entscheidungen in meiner Organisation vereinbarte Prinzipien flexibler Vorgehensweisen, so erhöht sich die Entscheidungsqualität, -effizienz und -autonomie. Wir schauen uns in diesem Beitrag an, wie sich dies umsetzen lässt.
 
 
Jeder ist zuständig – keiner verantwortlich

Moderne Organisationsformen und Führungskonzepte beinhalten die Gefahr von Unklarheiten. Die klassische funktionale Hierarchie legt eindeutig fest, wer die Entscheidungen trifft und für deren Umsetzung und damit auch Erfolg verantwortlich ist. In Matrix-Organisation ist diese Klarheit nicht mehr gegeben. Werden die Mitarbeiter nicht mit einbezogen und demokratische Entscheidungsfindungen oder vergleichbare Konzepte gelebt, ergeben sich aufgrund unterschiedlicher Auffassungen hinsichtlich der Kompetenzverteilung unklare Verantwortlichkeiten. Unzufriedenheit bei den Beteiligten ist unvermeidbar. Jeder Mitarbeiter hat ganz eigene Vorstellungen, wie ein solches Konzept aussehen sollte. Häufig fehlen klare Formulierungen. Es besteht allerdings eine Vielzahl implizierter Erwartungen, die nicht offen besprochen werden. Wir alle laufen damit Gefahr eines (unbewussten) Rosinenpickens. Schön ist, dass ich die Dinge (mit-)entscheiden darf, die mir wichtig sind. Für die Umsetzung der Entscheidung sind allerdings andere verantwortlich – das ist unschön. Dasselbe gilt für unangenehme Angelegenheiten und die Lösung von bestehenden Konflikten.
 
 
Abstimmung und Klarheit tut not

Es gilt die Frage abzustimmen, wer was entscheiden darf und muss. Wer sich einmischen kann und soll. Wer die Verantwortung für die Umsetzung trägt. Wer den Auftrag erteilen darf. Moderne Führungsansätze sind ohne transparente und tatsächliche Klärung von Entscheidungskompetenzen und Umsetzungsverpflichtungen zum Scheitern verurteilt. Sie münden in diesem Fall schnell im Chaos allseitiger Blockierungen oder enden im Entscheidungsvakuum.
Natürlich ist es aufwendig. Aber am Ende besteht eindeutig die Notwendigkeit, sich intensiv mit Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für zentrale Aufgabenbereiche zu beschäftigen.

• Wer entscheidet über bestimmte Fragestellungen?
• Wer ist für die erfolgreiche Umsetzung verantwortlich?
• Auf welche Weise und vom wem können Vorschläge/Widersprüche eingebracht werden?
• Wer hat den finalen Entscheidungen zu folgen?
• An wen darf wer was delegieren?

Aufgabenbereiche für die die aufgeführten Fragen beantwortet werden müssen, können sein:

• Operatives Geschäft (Zuteilung Aufgaben, Ergebniskontrolle und -freigabe, Arbeitseinsätze, Urlaubskoordination, Arbeit von zu Hause),
• Strategisches Vorgehen (Mission, Vision, Ziele, Strategie, Geschäftsplan),
• Organisation (Verantwortlichkeiten, Rollen, Abläufe, Berichtswege),
• Verwendung vorhandener Mittel (Investitionen, Kosten, Spesen, Ausbildungen),
• Einstellungen, Beförderungen, Entgelterhöhungen, Boni,
• Vorgehen in Bereichen, die nicht eindeutig definiert sind.

Mögliche Regelungen und Vereinbarungen

• Die Entscheidung muss und darf die Führungskraft fällen
Vor einer Entscheidung sollte sie die Rückmeldung des Teams einholen – eine Verpflichtung hierzu besteht allerdings nicht. Eine gute Kommunikation der Entscheidung ist ein Muss – eine Erklärung spätestens auf Nachfrage notwendig. Den Entscheidungen hat das Team prinzipiell zu folgen. Ein möglicher Widerspruch muss vom Team deutlich formuliert werden. Kommt es zu keiner Einigung, eskaliert das Team die Fragestellung zur nächsthöheren Ebene. Diese entscheidet dann endgültig nach der Anhörung beider Seiten.

• Die Entscheidung muss und darf das Team fällen
Vor der Entscheidung kann das Team die Entscheidung der Führungskraft einholen – es besteht allerdings keine Verpflichtung hierzu. Gemäß eines zuvor festgelegten Verfahrens erfolgt die Entscheidung. Das kann z.B. eine offene Diskussion mit Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit sein. Denkbar sind natürlich auch andere Vorgehensweisen (Konsentprinzip etc.). Wichtig ist, dass der Prozess klar beschrieben ist. Für die Umsetzung der Entscheidung ist ebenfalls das Team verantwortlich. Es muss sich entsprechend selbst organisieren. Wichtig ist, dass aufwendige oder unangenehme Aufgaben nicht delegiert werden sollen – insbesondere nicht nach oben.

• Gemeinsame Entscheidung von Team und Führungskraft
Hier hat der Vorgesetzte entweder eine einfache Stimme im Team, ein Vetorecht oder im Falle einer Stimmgleichheit den Stichentscheid. Als Alternative ist denkbar, dass der Vorgesetzte entscheiden kann, das Team allerdings bei hinreichender Mehrheit eine Teamabstimmung verlangen kann – vergleichbar mit einem Referendum in direkten Demokratien. Auf jeden Fall ist zu klären, wer die Verantwortung trägt für die Umsetzung. Diejenigen die entscheiden, tragen in der Regel auch die Verantwortung.

Kritiker bringen bei demokratischen Entscheidungsprozesse mit langwierigen und ineffizienten Verhandlungen in Verbindung, bis zu guter Letzt alle überzeugt sind und ihre Zustimmung erteilt haben. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Die Mehrheit bestimmt bei demokratischen Entscheidungen – in Form einer relativen oder qualifizierten Mehrheit. Sind alle Meinungen gehört, findet die Abstimmung zu einem festen Zeitpunkt statt. Es gilt das Votum der Mehrheit. Gegenüber der Konsensentscheidung, die jedem Einzelnen ein Veto einräumt, ist diese Methode viel effizienter. Sie bringt ebenfalls mehr Effizienz als das Machtwort eines starken Führers bei strittigen Entscheidungen – natürlich ist dies sehr schnell gesprochen – die anschließende Umsetzung stellt sich allerdings häufig als schwierig heraus. Und auch wenn wir anderer Meinung sind fällt es uns deutlich leichter, einer Mehrheit zu folgen, als der einsamen Entscheidung unseres Vorgesetzten.
Aber egal, auf welchem Weg die Entscheidungsfindung erfolgt, ein gemeinsames Verständnis ist wichtig, wer die Entscheidungen auf welche Weise treffen kann und soll. Außerdem ist es von fundamentalter Bedeutung, dass ein grundsätzliches Vertrauen besteht, dass die Person oder Gruppe eine gute Entscheidung fällt, die nicht anhaltend und reflexartig hinterfragt wird.

 

Praxisbeispiel: Situative Entscheidungen bei Buurtzorg
Was macht Buurtzorg?

Das niederländische Unternehmen Buurtzorg (niederländisch für Nachbarschaftshilfe) ist im Bereich der häuslichen Pflege tätig. Aufgrund seines innovativen Einsatzes des Pflegepersonals hat das Unternehmen eine große Aufmerksamkeit bekommen. Bei Pflegediensten werden in der Regel mehrere Personen mit unterschiedlichsten Qualifikationen eingesetzt. Medizinische Kompetenzen oder Erfahrung sind aber nicht für jede Tätigkeit erforderlich. Im Alltag werden für einfachere Tätigkeiten deshalb häufig weniger gut ausgebildete Mitarbeiter eingesetzt. Dadurch werden Kosten gespart. Buurtzorg verfolgt eine andere Philosophie: Krankenpfleger sind hier für die gesamte Palette angebotener Pflegetätigkeiten verantwortlich. Neben der medizinischen Versorgung der Patienten kümmern sie sich auch um die Erstellung und Umsetzung der Pflegepläne, Verwaltung von Antragsformularen oder auch die Abrechnungen. Dieser ganzheitliche Ansatz soll die maximale Unabhängigkeit der Patienten durch Trainings zur Selbstpflege sicherstellen und die Netzwerke nachbarschaftlicher Ressourcen fördern. Gleichzeitig werden aufgrund weniger fliegende Wechsel Arbeitsstunden und damit Kosten gespart. Das Unternehmen beschäftigt heute 10.000 Krankenpfleger, die in mehreren hundert Teams ohne Manager arbeiten. Die Abstimmung der Arbeit erfolgt situativ und individuell entsprechend des Bedarfs der Patienten. Das macht unabhängige und spezifische Entscheidungen innerhalb der Teams und im besten Patientensinne möglich.

Welche Herausforderungen stellen sich Buurtzorg?

Buurtzorg praktiziert das Konzept der integrierenden Vereinfachung – ein breites Angebot an Dienstleistungen ist in flachen Organisationsstrukturen eingebettet und durch informationstechnologische Prozesse vereinfacht. Kritische Stimmen begleiteten das schnelle Wachstum von Buurtzorg (im Jahre 2007 existierte nur ein einziges Team). Sie behaupteten, das Unternehmen wähle sich absichtlich Patienten mit multiplen Bedürfnissen aus, um die abzurechnenden Stunden bei längerer Behandlungsdauer zu erhöhen. Kritisch wurde außerdem hinterfragt, dass im Falle eines unerwarteten Pflegenotstandes Patienten andere Unternehmen oder eine Notaufnahme konsultieren müssen. Diese Kritik konnte nicht belegt werden. Auch die Kundenzufriedenheit erreicht sehr hohe Werte.

Welche Chancen hat das Unternehmen?

Es handelt sich um einen holistischen Ansatz, nämlich eine an den Patienten angepasste Rundumpflege, die individuell auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtet ist. Menschlichkeit steht dabei über Bürokratie – das ist das Motto von Geschäftsführer Jos de Blok. Dies zeigt sich durch den breiten Einsatz des Pflegepersonals. Für die unterschiedlichen Anforderungen des Patienten wird der ständige Wechsel an Kontaktpersonen vermindert. Anfahrts- und Übergabekosten lassen sich so minimieren, in der Summe fallen weniger Stunden an. Die niederländische Regierung hat Buurtzorg aufgrund der Erfolge bei Kostenreduktion, hoher Kundenzufriedenheit und der verbesserten Pflegeleistungen als Berater für andere Pflegeoraganisationen angefragt. Das ganzheitliche Prinzip hat auch auf Mitarbeiterebene positive Effekte: die geleistete Arbeit hat einen höheren Sinn – sie gelten als die zufriedensten in Holland in Firmen mit über 1000 Mitarbeitern.

Inspiration zu diesem Beitrag: Hermann Arnold: Wir sind Chef