Fehlerkultur in Deutschland – Fehl(er)anzeige!

Von Berliner Flughafen bis Elbphilharmonie. Der Umgang mit Fehlern in Deutschland hat ordentlich Luft nach oben – Nur in Singapur ist die Fehlerkultur schlechter als in Deutschland. Das ist alarmierend: Es gibt viel zu tun.

Deutschland und Singapur sind Schlusslichter

Prof. Dr. Michael Frese hat die Fehlerkultur in unterschiedlichen Ländern untersucht. Demnach ist Deutschland 60. von 61 untersuchten Ländern. Nur in Singapur ist es um die Fehlerkultur noch schlechter bestellt als in Deutschland – hier werden Ordnungswidrigkeiten noch öffentlich mit der Rohrstockmethode sanktioniert.

USA als Gegenpol

In den USA ist Scheitern erlaubt, ja sogar erwünscht. In Deutschland ist das nach wie vor Karrierebremse oder sogar kompletter -stopper. Hierzulande fehlen die Beispiele, bei denen jemand dank eines Fehlers einen Rang aufgestiegen ist.

Die Treppe von oben kehren

Nehmen wir die uns allen bekannte Diesel-Affäre bei VW. Als diese Meldungen einschlugen wie eine Bombe, wollte die Führung davon nichts gewusst haben. Jetzt kommt Daimler an die Reihe. Und auch Dieter Zetsche gibt sich in dieser Sache ungewohnt verschlossen. Offenbarungseide passen uns Deutschen nicht wirklich in den Kram.

Nehmen wir an, dass eine solche Kultur von oben ausstrahlt – wer geht dann ernsthaft davon aus, dass Führungskräfte weiter unten die eigenen Verfehlungen freizügig thematisieren? Wir betrachten Fehler als Karrierekiller. Und das aus gutem Grund: weil sie es sind. Nach wie vor.

Schauen wir in dieser Sache erneut auf die Diesel-Affäre: Ingenieure müssen gehen, nicht die Vorstände.

Wer ist Schuld – der deutsche Fingerzeig

Statt einen Lerneffekt zu generieren kommt es zur Skalierung des Strafmaßes in vielen Unternehmen. Damit ist einfach zu erklären, dass der aufkommenden Schuldfrage lieber ausgewichen wird, anstatt klar Farbe zu bekennen. Schuld sind doch immer die anderen.

Von deutschen Managern höre man gerne und häufig, dass der Fehler eines Kollegen nicht früh genug erkannt wurde, sagt Michael Frese. Amerikaner freuen sich, über Fehler zu sprechen, Deutsche verleugnen sie: hier werden keine Fehler gemacht. Auf der einen Seite hat die deutsche Intoleranz gegenüber Fehlern etwas Positives: mit der Vorstellung, was schiefgehen könnte wird gleichzeitig überlegt, wie es zu verhindern ist. Aus diesem Grund sind deutsche Organisationen wirklich gut im Fehler vermeiden. Geht aber was schief, starten die Probleme: Fehler werden tabuisiert, es wird spät darüber gesprochen, die Verantwortlichen machen sich Selbstvorwürfe. Bloßstellung und Ärger mit dem Chef liegen nahe. Aber genau deshalb werden Fehler nicht frühzeitig erkannt und pragmatisch bearbeitet – Lerneffekte für alle Beteiligten bleiben aus.

Damit entfällt auch die Grundlage die Fehler für das nächste große Ding zu nutzen. Und gerade die junge Generation habe einen sehr hohen Anspruch an die eigene Leistung. Alte preußische Tugenden wie Disziplin sind extrem wichtig und erleben eine Renaissance. Es geht auch für Junge darum, nicht zu scheitern. Besonders in der individualistisch orientierten Gesellschaft bedroht Scheitern in hohem Maße den Selbstwert.

Negative Gedanken schnell abschütteln

Der Psychologe Joachim Stoeber von der University of Kent hat das Scheitern von Personen studiert, die tagtäglich dazu verurteilt sind: Perfektionisten. Sie zeichnen sich durch überhöhte Ansprüche aus und werden nur selten ihren Ansprüchen gerecht. Am besten konnten die Probanden die eigenen Niederlagen wegstecken, wenn sie es schafften, diese mit Humor zu sehen, etwas Positives daran zu finden oder sich auf das zu konzentrieren, was gelungen war.

Auf geht´s zur konstruktiven Fehlerkultur

Lasst uns aufbrechen von einer Schuld- in eine Lernkultur. Erste Voraussetzung muss es sein, dass wir endlich lernen, zwischen Fehlern und Fehlverhalten zu unterscheiden. Eine inadäquate Haltung ist Basis von Fehlverhalten. Sie ist entweder in der Persönlichkeit oder der Kultur des Unternehmens verankert. Ein solches Verhalten, inklusive der Verschleierung von Fehlern, braucht Aufklärung und Sanktionierung. Fehler sind hingegen meist auf mangelhafte Prozesse, Unklarheiten in der Kommunikation oder andere Lücken im System zurückzuführen. Sie bergen ein großes Potenzial für Verbesserungen und Effektivität.

Viele große Erfindungen wurden erst durch Fehlsch(l)üsse möglich.

Frese analysierte, welche Faktoren den Umgang mit Fehlern beeinflussen: Ist es in einer Kultur von großer Bedeutung Unsicherheiten zu vermeiden, ist sie wenig fatalistisch und verfügt sie über klare Normen und Sanktionen, ist diese außergewöhnlich gut in der Vermeidung von Fehlern. Spielt Altruismus und Fairness in der Kultur eine große Rolle und ist die Gemeinschaft wichtiger als das Individuum, so werden Fehler gut entdeckt und gemanagt. In engen Netzwerken fallen Pannen schneller auf, Informationen fließen schneller, Schuldzuweisungen an Einzelne sind seltener, Ängste von Konsequenzen geringer – beides lenkt vom Problem und dessen Lösung ab. Flache soziale Hierarchien wirken sich in jedem Fall positiv aus.

Lernen braucht Freiraum

Die besten Führungskräfte und Kollegen, die über großen Gestaltungswillen und neue Ideen verfügen, müssen Klarheit haben, dass sie für ihr Engagement nicht bestraft werden. Und das gerade auch dann, wenn etwas einmal nicht funktioniert. In vielen Unternehmen herrscht allerdings der Glaube an die Null-Fehler-Toleranz, an der die Leistung gemessen wird. So wird Innovationen der Garaus gemacht.

Ich habe versagt, bin aber keine Versager

Fehler zugeben, den eigenen Selbstwert aber nicht ans Richtigmachen knüpfen – das ist der wahre Balanceakt zum Erfolg. Oft hilft ein Blick von außen, von einem Freund oder Kollegen. Wir brauchen Unterstützung von jemandem, der uns hilft die widerstreitenden Gedanken zu ordnen. Manchmal ist professionelle Hilfe nötig. So versuchen Verhaltenstherapeuten ihren Patienten die negativen Gedanken abzugewöhnen, das Selbstwertgefühl von einzelnen Leistungen abzukoppeln. Geben wir Fehler mit der Zeit nicht mehr so große Macht, gelingt es besser, Patzer zu vermeiden. Das lässt die Konzentration wieder schneller auf das Wesentliche lenken.


Welche Faktoren beeinflussen den Umgang mit Fehlern

Natürlich hat die Kultur großen Einfluss darauf, wie wir mit Fehlern umgehen – verändern lässt sich laut Frese aber immer etwas. Er entwickelte Fehlermanagement-Kurse für Unternehmen und Organisationen. Wichtig sei demnach:

  • Gib den Mitarbeitern das Gefühl, dass sie Fehler machen dürfen: das dient als Ventil.
  • Mitarbeiter sollten sich in Metakognition üben: kurzes Nachdenken über die Reaktion auf einen Fehler und den Umgang damit reicht aus. Wüste Beschimpfungen der eigenen Person sind kontraproduktiv. Auf den Erkenntnissen von Freses Arbeiten wurden solche Programme zum Beispiel mit Feuerwehrleuten in Australien und Pharmazeuten in den USA gestartet. Es zeigten sich umwerfende Resultate. Die Leistungssteigerungen waren enorm.

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